Betriebsunfall oder Supergau


FAQ Krise

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Einleitung


Die Haltbarkeitsdauer der Krise überrascht ebenso, wie sie zum Nachdenken herausfordert. Ökonomen machen sich Gedanken über Zielkonflikte der aktuellen Maßnahmen oder plädieren gleich für ein Kerneuropa der solventen Staaten. Daneben gibt es entspannte Gemüter, die das alles nicht so ernst nehmen, insgeheim aber hoffen, dass es glimpflich ausgeht. Staatsregierungen positionieren ihre Interessen und wollen das EU-Getriebe in Gang halten. Ebenso liest man bereits von Krisengewinnlern, die am griechischen Niedergang profitieren. Allen voran die Retter selber.


Über Ursache und Verlauf der Krise kursieren zahlreiche Ansichten, Informationen und vielsagende Interpretationen, die manchmal nerven, dann aber wieder gänzlich neue Aspekte ins Spiel bringen. Einige Kommentatoren zweifeln bereits an der Solvenz der gesamten Geldwirtschaft und wähnen sich am Abgrund einer kollabierten Marktwirtschaft, deren Sogwirkung immer mehr Menschen mitreißt. Andere sprechen von einem reinigenden Gewitter, das als Hebel für ein gestärktes Europa anzusehen sei mit dem Ziel, dem Rest der Welt als konkurrenzfähiges Kraftzentrum entgegenzutreten.


Kritische Geister suchen nach systemischen Fehlern in der Finanzwelt, die gegen das Gemeinwohl ausschlagen. Occupy-Aktivisten prangern den Verrat an demokratischen Idealen an oder empören sich über ungebremstes Gewinnstreben von Wall-Street-Managern. Daneben gibt es auch Krisenbeobachter, die sich mit den offziellen Verlautbarungen und der dazu passenden Begleitmusik einfach nicht zufrieden geben und nach Zusammenhängen suchen, die einleuchtend erklären, was da eigentlich abgeht, in den Finanzetagen, auf dem Kapitalmarkt und der Polit-Bühne.


Die bunte Mischung aus Pro- und Kontra-Protagonisten wirft Fragen auf, die Antworten verlangen. Im dialogischen Wechselspiel von Frage und Antwort soll deshalb eine Schneise der Aufklärung in das Meinungsgehölz geschlagen werden mit der Absicht, keine Krisendeutung sondern ein Stück Wahrheit ans Licht zu holen. Wer das außerirdisch findet, sollte sich mal überraschen lassen, was bei ausreichender Wühlarbeit im Sumpf der Meinungen so alles zu Tage tritt. Vor allem, wenn man sich nicht mit vorgestanzten Floskeln oder öffentlichkeitswirksamer Rethorik bescheidet. Oder sich nicht von vorneherein auf den Standpunkt der amtlichen Systemretter begibt.


Deshalb das folgende Logbuch, das Gespräche und Argumente in Interviewform zusammenfasst. Das Gesagte steht manchmal - nicht immer - im zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen. Aber keine Angst, es ist keine chronologische Sammlung bekannter Krisennachrichten. Ebensowenig sollen Schuldige ausgemacht oder Rezepte für eine alternative Krisenbewältigung ausgebreitet werden. Schon eher geht es darum, sich einfach an klassische Kriterien der Recherche und Analyse zu halten. Also wer macht was, warum und wozu. In diesem Sinne setzen wir uns jetzt einfach mal hin und fangen an.



1 Prolog


1.1 August 2007 - Erste Blase platzt


Wir sitzen an einem lauschigen Plätzchen südlich von München. Grillgeruch hängt in der Luft. Trotzdem befasst sich das Gespräch unweigerlich mit einem aufziehenden Donnergrollen - nein nicht über dem Staffelsee, sondern jenseits des Atlantiks. In den USA ist das Hypothekengeschäft mit Immobilien ins Trudeln geraten. Die Fachwelt spricht bereits von der Subprime-Krise. Milliarden-Summen stehen plötzlich im Raum, die Banken und Kreditgesellschaften abschreiben müssen. Erinnern Sie sich an Einzelheiten?


Was soll ich sagen. Natürlich war es der US-Immobilienmarkt und das Hypothekengeschäft auf das als erstes jeder starrte. Im Sommer 2007 trat aber auch ins allgemeine Bewußtsein, dass es rund um das US-amerikanische Hypothekengeschäft eine ganze Reihe weiterer Finanzgeschäfte angesiedelt sind, die offenbar in Hypothekendarlehen ihren Ausgangspunkt nehmen, aber ganz andere Formen der Geldanlage sowie Geschäftsspekulationen hervorbringen. Es waren keine crashenden Aktienkurse an den Börsen, sondern Investmentbanken, Hedgefonds und andere Zweckgesellschaften, die Krisensignale aussanden. Milliardenabschreibungen von Merril Lynch, Bear Stearns oder Morgan Stanley geisterten durch die Medien. Elite-Unternehmen der Finanzwelt, die eigentlich als Branchenstars galten und bis dato Geld scheffelten, dass der Normalmensch blass wurde - allerdings meist vor Neid und Bewunderung. Witzigerweise schrieben im vierten Quartal 2007 die beiden Platzhirsche im Invetsmentbanking, Goldmann Sachs und Lehmann Brothers noch Gewinne.


Was hat Sie besonders beeindruckt?


Es waren die Zahlen. Irgendwo in der vierten Etage der Finanzwelt summierten sich plötzlich Verluste, die aufhorchen ließen. Merill Lynch meldete Ende Oktober 2007 ein Abschreibungsvolumen aus Kreditgeschäften von 8,4 Milliarden US-Dollar. Der zweitgrößte Anbieter im US-Hypothekengeschäft, Bear Stears, musste Abschreibungen in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar vornehmen und geriet in die Verlustzone. Kurz zuvor hatte Europas größte Bank HSBC ihre US-Immobilienaktivitäten komplett eingestellt. Das Bankhaus hangelte sich von Gewinnwarnung zu Gewinnwarnung. Erstmals tauchten auch Nachrichten von Bankengruppen auf, die ihre Verluste gar nicht in direktem Zusammenhang mit den Subprime-Papieren brachten, sondern Ausfälle von anderen verbrieften Produkten und Aktieninvestments verzeichneten. Ein erster Hinweis, dass hier eine Kapitalakkumulation unterwegs war, die mit geplatzten Hauskrediten schon vom Umfang her nicht zu erklären war. Was da in den Bankbüchern als Aktiva verzeichnet war und als handelbares Wertpapier über spezielle Zweckgesellschaften den Besitzer zwecks Rendite wechselte, entpuppt sich als hübsch verpackte Zeitbombe.


Wieso Zeitbombe?


Das Versprechen auf Geldvemehrung wurde unglaubwürdig. In den Verpackungen steckten Vermögenswerte, die sich aus irgendeinem Grund ihrer Vermehrung verweigerten. Den Geldanlegern ging die Gewissheit ab, tatsächlich eine werthaltige Kapitalanlage mit den angebotenen Finanzprodukten in Händen zu halten. Die Folge davon war, dass auch der Kredit, den eine Bank zur Refinanzierung seiner Spekulationsgeschäfte in Anspruch nahm gefährdet war. Immer höhere Risikoaufschläge legte die Kreditierung der Banken untereinander und damit den gesamten Interbankenhandel lahm. Eine wichtige Sphäre der Geldvermehrung gerät ins Stocken, das Finanzgewerbe steuert auf den Zusammenbruch zu.


Steht denn da gleich der Zusammenbruch vor der Haustür? Ökonomische Krisen sind ja nicht völlig unbekannt. Volkswirte sprechen häufig von einem eingebauten Marktmechanismus, der durch Preiskorrekturen fiktive Vermögenswerte wieder auf ein handelbares Maß zurückführt, gewissermaßen eine systemimmanente Bremse bei Überakkumulation.


Die Vorgänge im Jahr 2007 standen unter den Vorzeichen der US-Immobilienblase und der spekulativen Ausweitung forderungsbesicherter Schuldtitel ohne jetzt gleich auf die ökonomischen Spezialitäten der Derivatentechniken einzugehen. Was sich da in den spekulativen Abteilungen der Banken und der Finanzierungsdienstleistern angesammelt hatte waren zwar Wertpapiere, Schuldverschreibungen und Hypothekenanleihen aller Art, die allerdings immer mehr Zweifel an ihrer Werthaltigkeit schürten.


1.2. Entwertungskarussell startet


Fortsetzung folgt ...